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Platte Reifen, blinde Flecken: Die Bremer SUV-Aktion enthüllt auch, wie gestört der Klimadiskurs ist und warum wir so nicht weiterkommen

27.05.2025 , Markus Schaedel

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Was passierte ?

 

Die Luft war raus – nicht nur aus den Reifen Dutzender SUVs in Bremen-Schwachhausen i, sondern scheinbar auch aus einer konstruktiven Debatte über Klimaschutz. Die nächtliche Aktion eines „Widerstandskollektivs“ hat erwartungsgemäß für Schlagzeilen gesorgt: Sachbeschädigung, Ärger bei den Betroffenen, Ermittlungen des Staatsschutzes. Das ist die eine, die offensichtliche Ebene – die der Straftat und des Protests, der Grenzen überschreitet. Doch wer hier stehen bleibt, übersieht das eigentliche Alarmsignal.

Denn diese platten Reifen sind mehr als nur Vandalismus. Sie sind ein Symptom für einen öffentlichen Diskurs über die Klimakrise, der an der Oberfläche verharrt und die tieferliegenden Ursachen sträflich vernachlässigt. Die Aktivisten begründen ihre Taten mit der Untätigkeit der Politik und wollen „notwendige Maßnahmen direkt umsetzen“. Man mag diese Methoden verurteilen – und das mit gutem Grund –, doch die dahinterliegende Frustration speist sich aus einer Leerstelle in unserer gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

 

Die Folgen für den Diskurs ? 

Wo bleibt die breite, ehrliche Debatte über das, was Denker wie Karl Polanyi in “Die große Transformation“ beschrieben haben – über die Entfesselung von Märkten, die sich von sozialen und ökologischen Rücksichten entkoppeln und so massive gesellschaftliche und Klimatechnische Probleme erzeugen? Wo wird Thomas Pikettys Analyse über die Verteilung von Kapital (Buch: Das Kapital im 21 Jahrhundert) und dessen Folgen für Ungleichheit und damit auch für Ressourcenverbrauch und Klimagerechtigkeit wirklich ernsthaft diskutiert? SUVs, diese „fetten Karren“, sind für die Aktivisten eben nicht nur Autos, sondern Symbole eines Systems, das auf exzessiven Konsum und Externalisierung von Kosten setzt.

Weil dieser grundlegende Diskurs fehlt oder in Fachzirkeln verharrt, wird die Aktion des „Widerstandskollektivs“ primär als Angriff auf Privateigentum verhandelt. Die Medien stürzen sich auf den Konflikt, die Empörung kocht hoch. Es kommt zu einer weiteren Polarisierung: hier die „Klimakleber“ oder nun „Reifenstecher“, dort die „Zivilgesellschaft“. Die eigentliche Rechtfertigung der Aktivisten, ihre Kritik an neoliberalen Strukturen, die das Klima weiter schädigen, verhallt oder wird als krude Ideologie abgetan.

 

Habermas weisst auf die Folgen verfehlten öffentlichen Diskurses hin

Genau das ist der „gestörte Diskurs“, den Jürgen Habermas in seinen Analysen zum Strukturwandel der Öffentlichkeit beschrieben hat. Die Kommunikation zwischen Politik, Öffentlichkeit und kritischen Gruppen ist blockiert. An die Stelle eines vernünftigen Austauschs von Argumenten tritt die strategische Kommunikation: Provokation auf der einen Seite, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu erregen, und eine auf Sensation und Vereinfachung setzende mediale Verarbeitung auf der anderen. Die Folge: Die Debatte wird nicht vertieft, sondern weiter radikalisiert. Die Ursachen für die klimapolitische Misere und die Verzweiflung der Protestierenden gehen im Lärm der Kontroverse unter.

 

Wir müssen lernen, auch hinter grenzüberschreitenden Protestformen die drängenden Fragen zu sehen. Nicht, um die Taten zu billigen, sondern um zu verstehen, welche Versäumnisse in der öffentlichen und politischen Debatte solche Akte der Verzweiflung provozieren. Solange wir die systemischen Treiber der Klimakrise nicht schonungslos thematisieren, solange wir nicht über die Kosten unseres Wirtschaftsmodells für Planet und Gesellschaft sprechen, werden wir immer nur an Symptomen kurieren. Die platten Reifen von Schwachhausen sollten uns deshalb weniger zu schneller Verurteilung als vielmehr zu einer grundlegenden Reflexion über die blinden Flecken unserer eigenen Klimadebatte anregen. Denn nur eine ehrliche, tiefgründige Auseinandersetzung kann den Weg aus der Spirale von Frustration, Radikalisierung und letztlich politischer Stagnation weisen.

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