Kommentar zur Musikförderung: Boom an der Spitze, Not an der Basis – wie Deutschland seine kulturelle Zukunft verspielt

29.06.2025, Markus Schaedel

Artikel hören: 6.41 Min

Zwischen Imagepflege und dem Narrativ ökonomischer Effizienz gerät die Kulturpolitik in Deutschland zunehmend unter Druck – und mit ihr die vielen Kulturschaffenden, die unsere Gesellschaft lebendig, streitbar und menschlich machen. Die aktuelle Lage offenbart ein tiefes, strukturelles Paradoxon: Während die deutsche Musikindustrie 2024 Rekordumsätze von 2,38 Milliarden Euro feiert und sich zum Beispiel Institutionen wie der BVMI dementsprechend euphorisch und zuversichtlich äussern. koexistiert dieser Boom nur mit 

systematischer Prekarität und einer fortschreitenden Erosion der kulturellen Basis.

Wir erleben eine Kulturwirtschaft der zwei Geschwindigkeiten. Die jüngsten Entwicklungen zeigen eine bedenkliche Schieflage: Während Mega-Events und Stadiontourneen ihre Umsätze explodieren sehen, drohen freie Initiativen und kleine Kulturträger unter Sparzwängen und Bürokratie zu ersticken. Die geplanten Kürzungen der Bundeskulturfonds für 2025 sind hierfür ein fatales Signal. Was hier mit wenigen Zahlen entschieden wird, bedeutet für unzählige Kreative die Zementierung ihrer Existenznot. Ihr durchschnittliches Jahreseinkommen liegt laut KSK-Daten bei schockierenden 15.822 Euro – ein Lohn an der Armutsgrenze, der beweist: Die Industrie baut ihr Geschäftsmodell auf der systematischen Selbstausbeutung ihrer wichtigsten Ressource auf.

Gerade in Städten wie Bremen ist das Problem greifbar. Der Fall des Künstlerhauses Use Akschen zeigt momentan exemplarisch, wie Bekenntnisse zu „kreativen Freiräumen“ an rechtlichen Hürden und fehlendem politischen Rückhalt zerschellen könnten und was dies für die Stadt bedeuten würde.

Und dies ist kein Einzelfall, sondern Symptom einer existenziellen Krise an der Basis. Während an der Spitze das Geschäft brummt, bricht das Fundament weg. Das „Clubsterben“ ist real – kleine Bühnen, die über 90% aller Live-Events (!) stellen, kämpfen mit Kostenexplosionen und stagnierenden Besucherzahlen. Der für die Talentförderung überlebenswichtige „Circle of Live“, der Kreislauf, in dem die Stars von morgen auf den Bühnen von heute heranwachsen, ist definitiv unterbrochen. Diese kurzsichtige Sparpolitik ist nicht nur kulturell verheerend, sie wird langfristig auch für alle teurer: Ohne eine vitale Basis gibt es morgen keine Headliner für die heute boomenden Arenen mehr. Die Vernachlässigung des Fundaments ist die teuerste Fehlinvestition der gesamten Branche.

Ein weiteres Beispiel liefert dieses Band-Magazin selbst. Seit Jahren wird es als unabhängige Stimme der lokalen Musikszene durch den Autor dieses Kommentars  allein gestemmt. Doch institutionelle Unterstützung oder Fördermittel? Fehlanzeige. Der Grund ist systemisch: Bundesförderungen sind oft als „Wirtschaftshilfe“ konzipiert und verlangen Marktpotenzial und hohe Eigenanteile – ein „Matthäus-Effekt“, der jene ausschließt, die nicht bereits auf dem Weg zur kommerziellen Verwertung sind. Die lokale Förderung scheint hier nachzuziehen – Image ist wichtiger als soziale Relevanz. So wird ein engagiertes Projekt, das mit minimaler öffentlicher Hilfe nachhaltig zu stemmen wäre und sogar soziale Strukturen jenseits rein kapitalistischer Denkweisen etablieren könnte ( Musikerhilfe untereinander, Zusammenarbeit undsoweiter), dem Markt überlassen, der es unter diesen Bedingungen nicht tragen kann.

Gefahr für die Kultur auch von Rechts 

Gleichzeitig steht die Freiheit der Kunst aktuell unter doppeltem Druck. Neben der neoliberalen Sparlogik greifen rechte Kräfte wie die AfD die Kultur derzeit frontal an – von der Forderung, Zitat: „linksgrün versiffte Theater“ zu schließen, bis zum Angriff auf die Idee von Kunst als freiem Raum selbst. Wer hier wie Kulturstaatsminister Weimer mit seiner „Hufeisen-Rhetorik“ eine angebliche Symmetrie der Bedrohungen von links wie von rechts herbeiredet, betreibt eine gefährliche Relativierung, denn es ist ein grosser Unterschied ob jemand zum Beispiel das heutige FußballSpiel taktisch kritisiert oder man gleich das ganze Stadion anzünden möchte !

Eine Kultur, die durch einen Gender-Pay-Gap von 22% und die strukturelle Ausgrenzung von Frauen in kreativen Schlüsselrollen bereits von innen geschwächt ist, muss wehrhafter sein. Sie darf nicht neutral gegenüber den Feinden der Freiheit sein, denn Freiheit ist die Existenzgrundlage von erfüllter  gesunder Kultur !

Was Deutschland jetzt braucht, ist ein mutiger kulturpolitischer Aufbruch, der sich von der Fassade der Erfolgszahlen löst und endlich über den Wert von Kultur für die Gesellschaft nachdenkt und die Realitäten der Schaffenden anerkennt. Die Forderungen der Szene liegen auf dem Tisch:

  • Faire Bezahlung durch verbindliche Honoraruntergrenzen in der öffentlichen Förderung.
  • Ein Paradigmenwechsel von reiner Projektförderung hin zu einer echten Strukturförderung, die nachhaltige Arbeit ermöglicht.
  • Solidarische Mechanismen wie ein „Live Music Fund“, der die Gewinne der Mega-Events zur Stärkung der Basis nutzt.
  • Eine Reform der sozialen Sicherungssysteme, die prekäre Künstlerkarrieren endlich absichert.

 

Das scheinbar ewige große politische Missverständnis muss endlich beseitigt werden: Kultur ist kein Luxus. Sie ist Daseinsvorsorge, Reflexionsraum und der Kitt der Gesellschaft. Sie ist, wie Theodor Adorno sagte, die Idee des Menschen vom Menschsein. Sie ist damit auch  die ganzheitliche Vision der Zukunft einer Gesellschaft. 

Eine, im Gegensatz marktwirtschaftlich angepasste, bewusst unpolitische und damit  abgeflachte Kultur bleibt nicht nur in diesem Sinne wirkungslos, sie kann sogar das Einfallstor für Ideologen sein, die diesen leeren Sinnes-Raum zu füllen gedenken – mit ihren totalitären, meist auf Hass gründenden Rhetoriken und Ideen zur Machtgewinnung. Es wäre nicht das erste Mal. Wenn wir Kultur in seiner gesamten Funktion ernst nehmen, muss sich die Politik diesbezüglich an ihren Taten messen lassen. History is watching you ! Wer Kunstfreiheit und kulturelle Vielfalt wirklich will, muss sie auch konkret absichern – mit Geld, Rechtssicherheit und Mut. Wir brauchen in diesem Sinne eine pragmatische KulturPolitik, keine auf Wirtschaftszahlen gestützte Selbstbeweihräucherung, denn wir leben  in Zeiten, in denen diese Blindheit nicht nur teuer, sondern inzwischen sogar gefährlich werden könnte.

Quellenangaben zum Kommentar

  1. Zum Rekordumsatz der Musikindustrie (2,38 Mrd. Euro)
  1. Zum Durchschnittseinkommen von Musikern (15.822 Euro) und zum Gender-Pay-Gap (22%)
  1. Zur „Kulturwirtschaft der zwei Geschwindigkeiten“ und zum „Clubsterben“
  1. Zum Konzept des unterbrochenen „Circle of Live“
  1. Zur Kritik an der Bundesförderung als „Wirtschaftshilfe“
  1. Zur Strukturellen Ausgrenzung von Frauen in kreativen Schlüsselrollen
  1. Zur Warnung vor Kürzungen in den Kulturhaushalten 2025
  1. Zu den vier zentralen Forderungen der Szene
  • Reform der sozialen Sicherungssysteme:
    • Titel: Elf Forderungen zur Bundestagswahl 2025
    • Herausgeber: Deutscher Kulturrat

Link: https://www.kulturrat.de/bundestagswahl/elf-forderungen-zur-bundestagswahl-2025/

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