Foto: httpspixabay.comdeuserswal_172619-12138562.jpg

Kommentar

WIR statt Ich – Ein besseres Zukunftsmodell

12.11.2024, Markus Schaedel

Artikel hören: 4 min

Die Wiederwahl von Donald Trump hat viele Menschen in den USA, aber auch in Europa, in Sorge versetzt.

Interessant ist jedoch – und deswegen schreibe ich diesen Kommentar –, dass wir gerade jetzt, in diesem kurzen Augenblick der scheinbaren Perspektivlosigkeit, die Möglichkeit haben, eine andere Sichtweise einzunehmen.

Wir können unser Leben aus einer Perspektive betrachten, die uns erkennen lässt, wie sehr wir durch den Neoliberalismus und unseren Superkapitalismus vereinzelt und selbstbezogen sind, anstatt geschlossen gegen den Krieg in der Ukraine, Rechtspopulismus, Trump oder gegen schlechte Politik (der Ex-Ampel-Regierung) einzustehen. Das wäre hilfreich, nicht nur für uns.

Zur Veranschaulichung: In derselben Woche der US-Wahl jährte sich der Mauerfall 1989 in der DDR zum 35. Mal. Wie kam es damals dazu? Ich habe es als 14-Jähriger in Schwerin miterlebt. Die Menschen waren wütend über die Gesamtumstände im Land: Man hatte den Westen vor der Nase, sah im Fernsehen, wie das Leben sein könnte, während das eigene so eingesperrt, bevormundet und auch ärmlich war.

Die Folge war ein verletzter Stolz, aus dem wiederum eine gewisse Wut resultierte, die schließlich viele auf die Straße brachte – zuerst in Leipzig bei den Montagsdemos und dann nach und nach überall im Land.

Und als die Menschen bei den Demos merkten, dass es vielen so ging wie ihnen, gesellte sich zur Wut allmählich ein ruhiges Gefühl der Überlegenheit. Man war ja moralisch im Recht, oder? Man demonstrierte friedlich, weil man wusste, dass man Recht hatte, und die Welt (in den westlichen Medien) antwortete: Ja, ihr habt Recht!

Zu diesem verletzten Stolz, der hier der Ausgangspunkt war und schließlich zur moralischen Sicherheit führte, sind wir heute im Neoliberalismus scheinbar nicht mehr in der Lage, denn wir sind es gewohnt (wodurch?), Problemen eher mit Konsum oder einem Drang zur Selbstentfaltung zu begegnen. Wir sind Homo Oeconomicus, Selbstoptimierer, Individualisten oder wie man sie auch immer nennen mag, die stoisch ihren eigenen Weg gehen.

Der Unterschied zur DDR ist, dass die Menschen dort keinerlei Ablenkung von ihren Problemen hatten und auch nicht den geringsten Zweifel daran, dass sie alle im selben Boot saßen.

Das ist heute so kaum denkbar – nicht einmal der Ukraine-Krieg verlangt uns große Verbundenheit ab, obwohl unsere Angst uns ahnen lässt, dass wir sehr wohl im selben Boot sitzen könnten. Doch was tun wir schon?

Und die Ukrainer halten den Invasoren tapfer stand, und das seit fast drei Jahren! Sie jammern nicht, sie kämpfen – und sie bestehen, bis jetzt. 

600.000 russische Soldaten sind laut Medienberichten bereits gefallen beim Versuch, das Land einzunehmen. Die Ukrainer kämpfen für ganz Europa – und wir individualisieren uns stoisch weiter, getrieben von der kapitalistischen Logik, die unsere Gedanken und Handlungen prägt.

Doppelt tragisch. Denn würden wir uns verbunden fühlen, würde uns ihre Moral daran erinnern, dass man solche Konflikte auch gewinnen kann, wenn man der Ungerechtigkeit nur geschlossen entgegentritt, so wie sie es tun. Doch so sehen wir weiter nur unsere eigene Angst.

Ich finde, wir sollten wenigstens wütend sein, weil unsere erlernte Selbstbezogenheit uns die Fähigkeit nimmt, die einzige Waffe gegen Autokraten und Ideologien zu erkennen, die funktioniert: unsere Fähigkeit zur Verbundenheit.

Immerhin können wir auch gewinnen, gegen die Putins, die Trumps, die Xi Jinpings und alle anderen Unterdrücker – und zwar weltweit.

Und wir sind ja überall! Menschen, die nichts weiter wollen als ein freies, friedliches Leben. Wie finden wir Empörung? Wut? Um global zusammenzustehen? Wie demonstrieren wir über die Grenzen hinweg, friedlich, aber unzerbrechlich und geschlossen, wie in der DDR oder bei Gandhis Salzmarsch – gegen jede Form von Unfreiheit, die uns alle mehr und mehr bedroht? Zeit wäre es…

Unterstütze Bandliste Bremen (Lokales Bandmagazin) mit einer Paypal Spende:

© 2021 Bandliste-Bremen.de - Alle Rechte vorbehalten