Kommentar zur “Brandmauer-Debatte”
02.02.2025, Markus Schaedel
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Die politische Landschaft Deutschlands erlebt eine tektonische Verschiebung. Das jüngste Votum zur Migrationspolitik, beschlossen von CDU und AfD, markiert einen neuen Tiefpunkt im Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit. Doch wer nach einfachen Erklärungen sucht, greift zu kurz. Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen tiefer – in einen fundamentalen Widerspruch zwischen Demokratie und Neoliberalismus.
Demokratie verspricht Freiheit und Gleichheit für alle. Der Neoliberalismus hingegen fördert eine Gesellschaft der Konkurrenz, in der Profitstreben und Marktlogik jede politische und soziale Entscheidung bestimmen. Während er vorgibt, wirtschaftliche Effizienz zu steigern, entzieht er dem Gemeinwesen systematisch die Grundlagen einer echten Demokratie. Die Konsequenzen sind allgegenwärtig: Eine immer größer werdende soziale Kluft, die Zerstörung der Mittelschicht und eine Politik, die sich primär nach den Interessen der Märkte richtet, statt nach den Bedürfnissen der Bürger.
Es ist kein Zufall, dass rechtspopulistische Bewegungen in Europa und den USA gerade in den letzten Jahrzehnten so stark geworden sind. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown (Uni Berkeley/ California) beschreibt in ihrem scharfsinnigen Buch “Die schleichende Revolution” von 2015, wie der Neoliberalismus die Demokratie nicht nur aushöhlt, sondern in eine gefährliche Richtung verschiebt. Mit fatalen Folgen: Wenn politisches Handeln zunehmend nur als notwendig für das Marktgeschehen verstanden wird – mit Bürgern als Humankapital – dann verlieren demokratische Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Mitbestimmung mehr und mehr an Bedeutung.
Hier zeigt sich die perfide Dynamik: Während der Neoliberalismus eine Welt schafft, in der das Individuum permanent und ´alternativlos´ für seine eigene Unsicherheit verantwortlich gemacht wird, bietet der Rechtspopulismus eine scheinbar einfache Antwort: die Rückkehr zu einer starken, autoritären Führung, die Sicherheit und Kontrolle verspricht. Das erklärt den weltweiten Rechtsruck – von Trump und Le Pen über Meloni bis hin zur AfD. Sie alle haben verstanden, wie sie die ungerechte Logik des Neoliberalismus für ihre Pläne nutzen.
Ein zentrales Paradox der neoliberalen Ideologie liegt in ihrem Freiheitsversprechen. Sie postuliert individuelle Selbstbestimmung, die sich praktisch vor allem durch profitfördernden Konsum äussert, verlangt aber von jedem Einzelnen, sich gleichzeitig den globalen Marktgesetzen bedingungslos zu unterwerfen. Brown beschreibt dies als „die Umkehrung von Freiheit in Aufopferung“ – ein Prozess, bei dem die Bürger lernen, ihr eigenes Wohlergehen für die „Gesundheit der Wirtschaft“ zu opfern. Sparmaßnahmen wie die Hartz 4 , die allgemeine Deregulierung wirtschaftlicher Prozesse durch den Staat oder die allgemeine zunehmende Privatisierung – vor allem auch öffentlicher Räume – werden nicht als politische Entscheidungen betrachtet, sondern als ökonomische Notwendigkeiten, die alle mittragen müssen.
Das führt zu einer fatalen Entwicklung: Der Sozialstaat wird geschwächt, prekäre Beschäftigung und Unsicherheit nehmen zu – sodass sich die Verlierer dieser Entwicklung, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen, genau jenen zuwenden die den Systemfehler lautstark anprangern: den Populisten.
Wenn der Populismus nicht einfach eine Anomalie, sondern eine direkte Konsequenz neoliberaler Politik ist, dann muss die Lösung darin bestehen, diese Politik grundlegend zu hinterfragen. Es reicht bei weitem nicht, den Rechtspopulismus zu bekämpfen, wenn gleichzeitig die Bedingungen, die ihn hervorbringen, unangetastet bleiben. Und Friedrich Merz ist zwar Demokrat, aber vor allem eins: Neoliberalist. Kann die Antwort auf die Krisen die aus neoliberaler Wirtschaftspolitik resultieren, wirklich noch mehr Neoliberalismus sein ? Unlogisch. Die Alternative wäre eher eine Politik, die Demokratie wieder mit echter sozialer Teilhabe verbindet – eine, die sich nicht nur an Marktlogik orientiert, sondern an den Bedürfnissen der Menschen. Und hier liegen beachtliche Potenziale für eine lebenswerte Zukunft.
Die Debatte über Migration, soziale Sicherheit und politische Partizipation kann nicht geführt werden, ohne die systemischen Ursachen des Problems zu benennen. Denn solange die neoliberale Ordnung unser Denken bestimmt, bleibt jede demokratische Erneuerung eine Illusion – und der Aufstieg der Rechten ein Symptom eines weit tiefer liegenden Fehlers im System.
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