Konzertauftakt: „Oh Misty Mountains“ Ausschnitt (1.05 min) Video Markus Schaedel

Konzertbericht: RUBBER TEA in der Lila Eule Bremen

08.01.2024, Markus Schaedel, Lesedauer: 5 Min

Am 15. Dezember 23 spielten Rubber Tea ihr Releasekonzert zur Veröffentlichung ihres zweiten Albums „From a Fading World“

Intro

Es war schon ein netter Abend hier in der LiLa Eule am Sielwall, wo Rubber Tea (Wiki) zur Releaseparty ihres zweiten Albums „From a Fading World“ geladen hatten.
Die fünf jungen Art-Rocker, alle um die Mitte 20, gelten spätestens seit ihrem Debütalbum „Infusion“ (2020, Sireena Records – Web) als interessanter neuerer Act im Progressive-Rock-Bereich und das nicht nur in Bremen sondern auch über die Landesgrenzen hinaus.

Musikblogs wie rocktimes.info, babyblaue-seiten.de, musikreviews.de oder betreutes-proggen.de lobten den Longplayer auf ihren Seiten, vor allem wegen seiner progressiven Vielfältigkeit und dem technischen Können.
Und auch wenn das Album stellenweise sehr an Originale – Bands wie z. B. King Crimson oder Genesis – erinnerte und man hier und da vielleicht auch in puncto Gesangscharisma noch ein wenig Luft nach oben sah, war man insgesamt durchweg verblüfft über die kreativen und gut durchdachten Kompositionen, sowie die Reife der jungen Musiker. „Ein hoffentlich kommender Nachfolger wird sich weit strecken müssen“, schrieb Rocktimes 2020, wohl eher etwas skeptisch, ob das so wiederholbar geschweige denn zu übertreffen sei.

Nun, vor ein paar Wochen war es schliesslich soweit. Der Nachfolger „From a Fading World“ erschien Mitte Dezember beim etablierten Progressive-Rock-Label Tonzonen Records, das Ganze knapp zwei Wochen vor dem heutigen Konzert, und man muss die Frage stellen, inwiefern er den ein oder anderen Rezensenten mit erstauntem Gesichtsausdruck vor dem Laptop zurücklässt. Das Konzeptalbum, das die Geschichte der Heldin Emily erzählt, die in einer Welt lebt, in der ein Sandsturmmonster alles Leben bedroht und sich daraufhin mit einem kleinen Flugzeug auf die Mission begibt, alle zu warnen, übertrifft rezensionstechnisch bereits nach den ersten 2-3 Kritiken das Debüt.

„Die wahrscheinlich beste Nachwuchs-Combo, die der Prog-Rock seit Jahren erlebt hat“, betitelte powermetal.de seinen Rezensionsartikel und gab gleich 9,5 von 10 Punkten, ähnlich andere wie z.B. Amplified-magazin. Das bezeichnete es als virtuoses Meisterwerk des Jazzrock, auch Betreutes Proggen.de lobte es in sehr hohen Tönen.
So viele bewährte Kritiker können sich eigentlich nicht irren, und auch ich als eingefleischter Genesis-Fan finde, „From a Fading World“ beeindruckt mit seiner phantasievollen musikalischen Erzählweise, den dazugehörigen eigenwillig ausgetüftelten Arrangements und nicht zuletzt dem musikalischen Können aller Beteiligten.
So gesehen kann die Releaseparty in der Lila Eule ja eigentlich nur ziemlich interessant werden.

Fotogalerie: „Rubber Tea in der Lila Eule“

Fotos: Markus Schaedel

Lila Eule

Freitagabend kurz vor Sieben – Die Lila Eule, das schnuckelige Keller-Tanzlokal direkt am Sielwall, füllt sich langsam. Während die Leute eintrudeln – durchweg Normalos von 18 bis 60 Jahren, geschlechtertechnisch ausgeglichen – suche ich mir einen Platz vor der Bühne. Man will ja halbwegs gute Fotos hinbekommen…

Zunächst spielen „Stripes called Zebra“, eine instrumentale Prog- und Jazzrock-Combo, die mit ihren chilligen Moods, Grooves und immer mal wieder angeflashten Drumfills für erstes jazzig-progressives Feeling sorgt. Echt nicht schlecht.

Als Rubber Tea gegen 19:45 Uhr die Bühne zum Aufbau betreten, bricht schon vereinzelt euphorischer Jubel aus. Keine Frage, die Band hat ihre Fans, nicht nur in Bremen, und die sind heute Abend hier.

Der Auftaktsong „Misty Mountains“ vom Debütalbum „Infusion“ (eine kurze Videoaufnahme davon ist oben das Titelbild) legt verträumt, verspielt bis nachdenklich los und zeigt gleich die Vielfalt des Quintetts. Ein Saxofonthema – darunter scheint keines der Arrangements länger als eine Minute anzuhalten – schließlich schwebt der Song durch unterschiedliche süßlich-melancholische Prog-Sphären im Stile der ganz frühen Genesis. Man wundert sich, wie glatt das doch hier klingt, fast genau wie auf dem Album – Rubber Tea sind live anscheinend genauso perfektionistisch wie im Studio.

 

From a Fading World live

„Das waren jetzt drei Songs von unserem ersten Album“, klärt Leadsängerin Vanessa Gross die Leute nach der ersten Viertelstunde auf, „aber wir haben ja heute hier eigentlich noch was ganz Anderes vor. Unser zweites Album ist vor ein paar Tagen erschienen, und wir haben beschlossen, wir spielen heute hier das gesamte Album komplett durch.“ Die Menge ist begeistert.

Der erste Album Song, „Ouranja Valley“, beginnt mit einem nachdenklich-ruhigen Bassthema und klingt mit seinen dahinplätschernden Gitarren nach und nach , als würde er sich wegträumen, um sich dann explosionsartig in ein Jazzrock-Intermezzo zu verwandeln, das sich hochschaukelt, grooved, ausflippt. Darüber ein ebenso feierndes Saxophon-Duett von Leadsängerin Vanessa und Gast-Saxophonist Adam Spoerhase – beide sind sichtlich am Kämpfen – Schwierigkeitsgrad nicht gerade niedrig.. Aber was erlaube Rubber Tea? Die machen hier aus Jazzrock und Prog-Rock einfach ihr eigenes durchgeknalltes Rubber-Tea-Ding. Beide sind danach sichtlich erleichtert und gratulieren sich kurz, dass dieses schwierige Duett hingehauen hat.

Emotionale Ausbrüche wie dieser sind heute allerdings eher die Ausnahme. Die Band agiert insgesamt vor allem konzentriert, fast introvertiert als ein. sich gegenseitig zuhörendes Team, das der Musik dient und in dem sich keiner in den Vordergrund hebt.

Leadsängerin Vanessa Gross singt die Songs mit vollem Eifer und auch fehlerlos, spielt nebenbei noch abwechselnd Querflöte, Saxophon, Keyboards, Viola und Percussioninstrumente – not bad. Lennart Hinz werkelt eifrigst an den Synth-Tasten, singt aber auch Solopassagen und spielt sehr oft die zweite Gitarre. Bassist David Erzmann, im Bühnenmittelpunkt positioniert, scheint alles mitzukriegen, was so abläuft. Der Bass ist bei Rubber Tea auch oft melodischer Bestandteil der Songs. Und der Schreibprozess für Songs beginnt ja, wie sich liest, auch meist mit dem Duo Erzmann und Hinz (siehe Interview auf eclipse.com), die sogar zusammen in einer WG wohnen (oder wohnten).

Jonas Roustai an der Gitarre wirkt eigentlich fast immer versunken und konzentriert, ab und zu gibt es Blickkontakt mit den Kollegen. Er beherrscht eine breite Palette an Stilen – von Konzertgitarre im Fingerstyle über Steve-Hackett-artige Gitarren-Pickings bis hin zu Solopassagen, die an Pink Floyd erinnern, und noch einiges mehr. Drummer Henri Pink liefert komplexe Drums und wirkt dabei durchaus charismatisch.

Was live nochmal auffällt, ist, dass Rubber Tea sehr gute Instrumentalisten sind. Es ist – das soll hier mal erwähnt sein – nicht der Sinn der Sache, in Konzertberichten jeden kleinsten technischen Fehlern hinterher zu jagen – (das wäre ja schlimm) aber wenn es keine gab, kann man das ja mal schreiben – vor allem gehörte technisches Niveau schon immer zum Rüstzeug progressiver Musik und seit ihren Anfangstagen.

Foto: Markus Schaedel

Progressiver Rock der 60-er bis heute – und Rubber Tea

Damals werkelten Bands wie King Crimson oder Yes im stillen Kämmerlein, um neue Songstrukturen, passend zum Aufbruchgeist der späten 60er Jahre zu kreieren.
Es war eine Zeit des Umbruchs. Die Jugend weltweit erkannte die seit Ende des 2. Weltkriegs festgefahrenen politischen, sozialen und kulturellen Strukturen, die sich in immer noch fehlender Gleichberechtigung, Rassentrennung und repressiven Staatssystemen ausdrückten, auch musikalisch (Popkultur).

Psychedelisch orientierte Bands wie The Moody Blues, Procol Harum, Jimi Hendrix oder The Doors hatten musikalisch und poetisch bereits Anfang/Mitte der Sechziger Jahre aufgezeigt, dass es möglich ist, jenseits der Hitparaden mit ihrer Verse-Chorus-Verse-Schemen und Bands wie den frühen Beach Boys, -Stones oder auch -Beatles, Klangsphären zu erweitern und sie zum Ausdruck der neuen kollektiven Träume werden zu lassen – sogar nebst den dazu passenden Drogen. Die Welt veränderte sich und ebenso die Musik. Man kann sagen, aus der Rebellion gegen das Bestehende wuchs ein neue musikalische Nische die vor allem für Kreativität an sich stand , und das war Progressive Rock.

Der Rebellionsgeist jener Tage hat sich bis heute jedoch ziemlich verflüchtigt – in den nächsten Dekaden, vor allem ab den 90er Jahren, entwickelten sich mehr oder weniger kommerzielle Subgenres wie Neo-Prog, Post-Rock, Progressive Metal, Prog-Folk, Math Rock u. Ä., die unterschiedliche Werte wie z. B. Traditionserhalt repräsentieren, auch wenn es in allen Genres natürlich diverse sehr kreative und innovative Bands gibt.
Trotzdem wird jungen Progbands heute oft der Vorwurf gemacht, dass sie im Grunde gar nicht mehr allzu kreativ wären, sondern sich an einem inzwischen riesigen Pool an Vorbildern bedienen und sich an deren Ideen austoben.

Zugegeben, das ist nicht nur verführerisch und mag teilweise auch sein. Andererseits muss man, wenn man sich einem Genre verschreibt, Vieles schon auch erstmal integrieren und für sich entdecken, ausprobieren, umdrehen und, wenn nicht gut, aussortieren. So geht Abgrenzung, Orientierung und Selbstfindung beim Homo sapiens bekanntermaßen. Ich grenze mich vom Vorbild ab, wenn ich mich mit ihm befasse, sehe, was ich kann, was nicht, was ich mag und was nicht… und so weiter… bis ich mir meiner (künstlerischen) Identität bewusst bin.

Auch bei Rubber Tea habe ich den Eindruck, dass sie aus einer Vielzahl von Bands ihren eigenen Sound formen, nach und nach, aber sie behalten dabei immer auch das Gesamte im Blick. Ihre Songs gehen harmonisch auf. Eigenheiten wie der Verzicht auf überlange Songs, wie eigentlich im Prog üblich, oder kilometerlange instrumentale Soli (beides könnten sie ohne Weiteres) sind anscheinend bewusste Entscheidungen, die andeuten, dass sie wohl recht gut wissen, wo sie hinwollen.
Und kreativ sind sie ja eh – das beweisen auch heute Abend Momente wie „Welcome to Sunville“, das in ein wirres Bläserintermezzo ausartet. Freejazz, wie er schriller nicht sein könnte, oder gleich der darauf folgende Titel „Superhexacatalyst“, ein Song, der groovend wie eine Acid-Blase durch den Orbit schwebt und den die Band sichtlich schelmisch abfeiert, ebenso wie das Publikum.

Outtro

Als gegen 22:00 Uhr der letzte Song verhallt, ist der Jubel hier eindeutig… und gefühlt endlos… 5 Minuten… 10 Minuten? Könnte ungefähr hinkommen. Es hört jedenfalls gefühlt gar nicht mehr auf… aber auch völlig zu recht: Rubber Tea haben live gehalten, was sie durch das Album versprochen haben und das ist schon eine ganze Menge – wenn auch ohne große Showeinlagen. Es war emotional packend und technisch spitze und ich bin mir sicher, wie auch immer ihre musikalische Reise weitergehen wird und wenn, wie man sagt das zweite Album den Ruf fest meißelt: von Rubber Tea darf man in Zukunft zumindest höchste Qualität erwarten, das wird wohl keiner abstreiten, der heute hier war.

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