„MÖRSER: Bandstory und Album-Kritik zu „Thank You for Leaving“
24.01.2022, Markus Schaedel, Lesedauer: 5 Min
Als MÖRSER 1997 ihr Debüt-Album „Two Hours to Doom“ herausbrachten, galten sie aufgrund ihres neuartigen, schlauen Mixes aus Grindcore, Hardcore und Metal als eine Band, die ihrer Zeit voraus war. Jenes brutale Noise-Geballer der damals 8-köpfigen Formation, das dem Hörer nichts als die dunkelsten Charakteristika des Hardcores und Metals in den Schädel zu hämmern schien, ist seither als ‚Bremencore‘ bekannt. Ende Dezember 2021, nach inzwischen 26 Bandjahren und vier weiteren Longplayern, meldeten sich MÖRSER mit ihrem 6. Album „Thank You for Leaving“ zurück. Grund genug, mal zurückzuschauen.
Anfang der 90-er
Bremens Punk- und Hardcorebewegung war in den 1990ern europaweit bekannt. Die 80er hatten eine aktive Szene hinterlassen, die sich überwiegend politisch verstand, dabei aber unterschiedlich stark engagiert war (von gar nicht bis extrem) und u. a. in Locations wie der ‚Friese‘, dem ‚Wehrschloss‘ oder der Grünenstraße 18, bei oft selbst organisierten Konzerten die Sau rausließen. Immer noch im Hinterkopf waren zwar die oft gewalttätigen Rechts-Links-Fehden der 80er, die vor allem auf Konzerten immer wieder ein leidiges Thema gewesen waren, aber nun, am Beginn der 90er, verliefen die Konzerte schon wieder etwas friedlicher, immerhin stagedivte nun auch schon mal der ein oder andere Normalo im Party-Modus von den Bühnen. Eine der auffallendsten Formationen dieser Tage war sicherlich ACME, gegründet Anfang der 90er, die bis heute als eine der einflussreichsten Hardcorebands überhaupt gilt. Die vier Leute (Voc, Git, Bass und Drums), deren Durchschnittsalter damals noch unter 20 Jahren gelegen haben dürfte, bestachen musikalisch nicht nur durch die Intensität und Geschlossenheit ihres Hardcoresounds, hinzu kam der ACME-typische extreme Gesang, der heute im Hardcore Gang und Gäbe ist. Eine weitere Innovation, die ACME für viele interessant machte, war die Tatsache, dass sie ihren Hardcore auch mit Metal-Riffs mixten – was Anfang der 90er absolut neu war.
Und wie es so ist, wenn etwas Neues entsteht hat sich auch schnell ein Begriff dafür gefunden. In diesem Fall lautete er „Bremencore“, auch wenn es länger dauern sollte, bis er sich etablierte. ACME hatten ihn entwickelt und nicht wenige Andere sollten davon inspiriert werden. Auch MÖRSER gründeten sich in jenen Tagen Mitte der 90er. Sie setzten sich aus Mitgliedern verschiedener Bremer Punk- und Hardcorebands (u. a. Systral, Minion, Carol, Metöke und Assay) zusammen. CAROL war neben Minion eine Hardcoreband, die ebenfalls zu den bekannteren gehörte und innerhalb der Szene, sogar bis in die USA eine Fangemeinde hatte. Angeblich bei irgendeinem Saufabend fragten sich Matthias Trenne /’Matze‘ (Bassist von CAROL), Björn Schmidt (Voc. bei CAROL) und Daniel Grabowski /’Grabi‘, wie man die Summe der Teile der eigenen Kracherfahrungen eventuell in ein noch fulminanteres Ergebnis ummünzen könnte. Die drei beschlossen, gemeinsam ein neues Projekt zu gründen, um so ihrem Ziel: „so schnell und extrem wie nur möglich zu spielen“, näher zu kommen. Der Bandname für das Projekt stand mit ‚MÖRSER‘ auch unspektakulär schnell fest und wurde bei der Gelegenheit wahrscheinlich auch gut begossen. Wie sich später herausstellte, stellten sich ungefähr zur selben Zeit Svenion Nienaber (Git. bei Minion) und Andre Wendelken (Drums bei Carol, Minion) die annähernd gleiche Frage, und auch sie hegten schließlich die Idee, für die Neugründung eines Projekts für ihre noch extremeren Musikvorstellungen.
1995-1999 Gründung und Debüt Album
Am 6. November 1995 fand sich schließlich die inzwischen noch leicht angewachsene Formation zur ersten offiziellen MÖRSER-Probe in der ‚Friese‘ ein. Das Line-up war schon ungewöhnlich, denn die Combo bestand aus nun acht Leuten – davon vier (!) Sänger (bzw. Growler), einem Gitarristen, zwei Bassisten und einem Drummer. Gitarrist dieser ersten Stunde, Svenion Nienaber, erinnert sich: „Wir hatten von Anfang an das Ziel, die extremste, härteste Band in dieser Reihe (der Bremencore-Bands der 90er) zu sein. Um das zu erreichen, haben wir einfach so viele Sänger gecastet, wie nur möglich. Die Gitarre hatte disharmonische Riffs, ohne dabei auf technische Verspieltheit zu setzen, sondern es sollte kraftvoll und gleichzeitig böse und wütend sein. Dazu noch zwei maximal verzerrte Bässe, plus das für damalige Verhältnisse irre schnelle, aber doch moshende Schlagzeug, ergab eben einen Mix, der erstmal alles wegpustete.“ Dabei hatten die verschiedenen Musiker unterschiedliche Vorstellungen, was sie sich unter extremer Musik vorstellten.
Die vor allem später beim ersten Album allgemein so gelobte Kreativität, so S. Nienaber: „…war eher etwas, was sich ergab aufgrund der vielen verschiedenen Charaktere in der Band. Wir sind nicht wirklich mit dem Anspruch in den Proberaum gegangen, unglaublich kreativ zu sein. Hart, extrem und anders war da schon eher der Anspruch.“ Und dazu orientierte er sich für seinen Gitarrenpart z. B., neben allgemein bekannten Hardcore-Acts und Bremer Formationen wie ACME, Systral oder Carol, z. B. aber auch an Horror- oder an ‚Alien‘-Soundtracks oder auch ‚The Prodigy‘. Matze, einer der zwei Bassisten, u. a. an Depeche Mode-Sounds. Für André (Drums) waren z. B. ‚CARCASS‘ ein Vorbild. „Und für das Walzende hat ‚BOLT THROWER‘ wohl einen wesentlichen Anteil“, … „Und den Sängern blieb ja, bei dem Ziel, aggressive Musik zu machen, nichts anderes übrig, als zu schreien oder zu growlen“, resümiert S. Nienaber: „Bei acht Leuten und dermaßen bunten Inspirationen mit dem gemeinsamen Ziel, alles möglichst brutal zu spielen, hat dies zu diesem einzigartigen Sound geführt.“
Die kreative Euphorie, die nun in der Luft lag, befähigte die Band innerhalb des folgenden Jahres, 22 energiegeladene, aber auch komplexe Songs auszutüfteln, auch wenn diese, wie im Grindcore üblich, kaum länger als eine Minute waren. Für die Aufnahmen des Albums gab es zu dieser Zeit eigentlich auch nur einen geeigneten Ort, eine Institution der Szene, die Kuschelrockstudios in Schwanewede. Dirk Kusche, Gründer und Produzent (und Bassist bei Systral), produzierte das Album auch und verlieh dem charakteristischen MÖRSER-Sound den letzten Schliff. Das Ergebnis der Tüftelei war das Debütalbum „Two Hours to Doom“ (VÖ 1997), und das versprühte nicht nur die Euphorie der Band, sondern setzte gar neue Maßstäbe in der Hardcore-Punk-Welt.
Die Kritiken lobten z. B. Mörsers Selbstverständlichkeit, bekannte Standards zu überwinden, die technische Raffinesse, die dafür notwendig ist, und die Tatsache, dass die Explosivität der Sounds trotzdem gewahrt blieb. Innerhalb der Szene war man ebenfalls begeistert: „Two Hours to Doom“ war scheinbar eine erhoffte Steigerung des üblicherweise primitiveren Hardcore-Sounds – zumindest war es etwas Aufregendes Neues, das daraus resultierte. Die Bezeichnung „pure fucked up war music“ stammt übrigens auch aus dieser Zeit nach dem Erscheinen des Debüts, wie Svenion Nienaber erklärt: „Der Begriff kam auf, als wir merkten, dass uns vor allem in Interviews immer wieder gefragt wurde, was wir denn nun für Musik machen. Der Mensch braucht Definitionen. Das Genre Bremencore war auch noch nicht etabliert, es begann sich gerade erst in der Szene zu verbreiten und war bei uns selbst auch noch gar kein Begriff. Also haben wir unseren Sound einfach bildlich beschrieben, statt uns einem Genre unterzuordnen oder ein neues Genre zu etablieren. In keine Schublade zu passen ist großartig. Warum sollte man sich dann selbst eine bauen?
Wo wir gerade bei Begriffen sind: Der markanteste, den man im Zusammenhang mit Mörser fast immer hört, ist wohl: „Fuck you, I’m with Mörser!“ Ich habe mich schon oft gefragt, wie der wohl entstanden ist. Und auch das weiß S. Nienaber noch sehr gut: „Der Spruch ist eine Antwort auf ein T-Shirt-Design von Black Sabbath, auf dem in derselben Schriftart stand: ‚Listen to Black Sabbath!‘. Die Vorstellung, einen Black Sabbath-Fan neben einem Mörser-Fan in diesem Shirt zu sehen, ist einfach zu gut.“ Originelle Konstellation: In diesem Sommer (2021) war in Bremen rund um das Überseefestival übrigens auch hier und da der Mörser-Kult-gemeinte Spruch „Fuck Mörser, I’m with Nirvana!“ auf T-Shirts zu lesen.
2000 – 2015
Gepusht vom Erfolg des Debütalbums folgten in den nächsten Jahren 2000-2015 dann unter anderem das zweite Album „10.000 Bad Guys Dead“ (1999), das seinem Vorgänger in nicht vielem nachstand, sowie eine kurze USA-Ostküsten-Tour (1999) durch Chicago und Philadelphia – was den Connections ihres damaligen Labels Per Koro Records zu verdanken war. Die Abstände zwischen den Alben der nächsten Jahre: „Pure Scum“ (2006) und „1st Class Suicide“ (2010) wurden zwar größer, zumindest im Vergleich zur extrem umtriebigen Anfangsphase – die Fans blieben aber auch von den nächsten Alben begeistert, wie sich lesen lässt. Zwar rümpfte der ein oder andere Rezensent schon mal mit Begriffen wie „Nachlassen“ (im Vergleich zu neuen aufkommenden Nachfolge-Bands) sein Näschen, doch spätestens beim fünften Album „V“ (2015) schien auch die Kritikerschaft im Wesentlichen wieder zufrieden.
2020 – Hellseatic Videolized
Und dann kam Corona. Mitten im öden Lockdown-Dezember 2020 fanden sich Mörser in der ‚Spedition‘ in Bremen ein, um hier einen Livestream-Gig ohne Publikum aufzuzeichnen – was in diesen Zeiten durchaus nicht unüblich war. Initiiert worden war das Ganze von den Machern des Hellseatic Festivals Bremen, die zu diesem Zeitpunkt, nach sowieso schon langem corona-bedingten Hin und Her, auch für dieses Jahr noch um das erste geplante Stattfinden zittern mussten. Immerhin dieses Video machen.. Es stand auch im Zeichen des 25. Bandjubiläums der Band.
Das Konzert begann in vollkommener Dunkelheit, bis schließlich Mörser-Sounds die Stille durchbrachen. Die Musiker, die hauptsächlich einzeln gefilmt wurden, dezent im passenden Hellseatic Blau angeleuchtet, trugen fast alle schwarze Corona-Masken, was die Sache irgendwie noch gruseliger machte. Die Songs? Nie gehört.. Erst nach ca. einer halben Stunde klärte der Sänger (Denny Schmidt) den Zuschauer auf: „Falls ihr euch wundert, dass ihr bis jetzt nur einen Song kennt, wir sind heute hier, um unser neues Album vorzustellen, das nächstes Jahr erscheint.“ Das Video war zunächst insgesamt fünf Tage online und verschwand dann, bis zum Albumrelease, erst einmal wieder von der Bildfläche.
Und nun, im Dezember 2021, genau ein Jahr danach, erschien es: das 6. Mörser-Album „Thank you for leaving“. Und vorweg: Es ist Mörsersche Qualität. Die 14 Songs blasten, walzen und zerstören wie gewohnt, fühlen sich dabei aber trotzdem nicht altbacken an. Das bekannte Double-Growling über schwermetalllastigen Riffs, treibenden Blasts und verstörenden Breaks lässt das Chaos vor sich hin mörsern und tut weh in der Seele. Die Lyrics drehen sich im Wesentlichen um die Auswirkungen der Abgründe der Welt auf den Hauptdarsteller, der irgendwo zwischen Leben und Tod, zwischen Stabilität und Wahnsinn gefangen zu sein scheint – mit eher negativer Tendenz. Dabei ist bereits nach den ersten paar Takten klar, dass auch bei Mörsers 6. Album weder Kompromisse, noch Anpassung oder gar Altersmilde zu befürchten sind. „Thank you for leaving“ ist, ebenso wie seine Vorgänger, eine energetische, ausgefeilte Episode mörser’schen Krachs, die die Fans ebenso wie die bisherigen Longplayer in seinen Bann ziehen wird. Für mich ist es auch ein Beweis dafür, dass das Beharren auf Unangepasstheit und Eigenständigkeit (auch nach 26 Bandjahren) den vielleicht einzig brauchbaren Schlüssel für bleibende Innovationsfreude darstellt.
Und wie fühlt es sich an, wenn man nach 26 Bandjahren das 6. Album herausbringt? Denny Schmidt (Voc. und Urmitglied der Band) erklärt dazu: „Das ist schon etwas Besonderes für uns. Also nicht, dass wir auf 6 Alben gekommen sind. Da sind andere Bands mit Sicherheit produktiver als wir. Aber 26 Jahre zusammen zu bleiben und immer noch Bock auf Mörser zu haben, ist für uns schon außergewöhnlich. Natürlich sind wir nicht mehr in der Urbesetzung, aber immerhin sind noch 4 Gründungsmitglieder dabei. Und die, die zwischendurch dabei waren oder inzwischen ausgestiegen sind, haben Mörser in ihrer Zeit auf ihre eigene Art und Weise beeinflusst.“
Eine lange Bandgeschichte, die sich inzwischen langsamer, aber gleichbleibend inspiriert weiterbewegt, auch wenn die Corona-Zeiten und die damit verbundene Livegig-Situation dieser Tage weniger zum Schwelgen einlädt: „Unser Traum ist eine Japantour“, verrät D. Schmidt. „André (Drummer bei Mörser – ist auch Mitglied bei CAROL) war vor zwei Jahren mit Carol in Japan und hat dadurch guten Kontakt zu Naoki von Kowloon Ghost Syndicate. Leider ist es zurzeit nicht ganz so einfach, so etwas zu planen. Mal sehen, was uns Corona dahingehend erlaubt… Am 22./23. April sind wir auf jeden Fall auf dem Stockrock-Festival und am 13./14./15. Mai auf dem Pitfest in Holland. Das darf gerne noch etwas mehr werden.“ Das hoffe ich auch für Mörser und für ihre Fans. Wenn man das erste Feedback zum Album (Fans und www.) aber richtig deutet, wird sich da bestimmt noch etwas auftun: „Bisher sind die Leute schwer begeistert. Das sind dann aber eher private Rückmeldungen über Social Media Kanäle. Plattenreviews gab es noch nicht so viele. Das dauert ja immer ein bisschen, bis die Leute ihre Begeisterung in Worte fassen können“, scherzt der Sänger.