RAUSZ – Die weibliche Galle am richtigen Fleck

24.10.2022, Markus Schaedel, Lesedauer: 5 Min

Rausz spielen deutschsprachigen Grunge/Punk mit einer toughen, femininen Message und sind, wohl nicht nur deswegen eine der interessantesten Bands der Region. Das liegt vor allem am Engagement von Frontfrau Susanna Janke, die mit ihrer selbstbewussten, energiegeladenen Bühnenpräsenz und starker Stimme allgegenwärtige Themen, auch um das Thema Gleichberechtigung glasklar anspricht.

Als sich die Formation 2021 vollkommen überraschend und aus ganz lebenspraktischen Gründen auflöste wurde den 4 Bandmitgliedern erst so richtig klar, wie beliebt sie eigentlich waren denn des es hagelte entsetzte Fan-Nachrichten en masse. Die Reaktion der Band: Re-Gründung knapp ein Jahr später. Seitdem wüten sie wieder und sind wohl beliebter denn je. Höchste Zeit mal zu fragen, wer Rausz eigentlich sind. Eine Bandstory.

Überseefestival 2021 – Eine warme Sommernacht. Während das grelle Blau des Bühnenlichts ins Dunkle der Nacht strahlt, setzt ein behäbiger Basslauf ein. Langsam kriecht eine junge Frau in einem grauen Samtanzug auf allen Vieren ins Bühnenbild. Sie krauchelt kurz quer über die halbe Bühne, von Mikroständer zu Mikroständer, nimmt sich schließlich ein Mikrofon und beginnt, immer noch am Boden sitzend, mit ernster Stimme zu singen: „Arbeiten kann ich nur mit Bier… Aufräumen kann ich nur mit Bier..Staubsaugen kann ich nur mit Bier…“ Ein grungiges Gitarrenriff bricht los und reagiert sich kurz ab. Die zweite Strophe: Sie steht nun, lächelt selbstbewusst, stolziert fast über die Bühne und singt weiter: „Aufstehen kann ich nur mit Bier. Probleme löse ich nur mit Bier…“ usw. Wieder der Chorus: Das Riff setzt wieder ein, bricht vollkommen aus, genau wie sie selbst. Sie flippt total aus, tanzt wild herum, stampft, wetzt…

Das Publikum ist größtenteils begeistert, denn die meisten hier lieben Rausz und Frontfrau Susanna Janke für genau diese straighte, selbstbewusste und energiegeladene Bühnenpräsenz. Und für ihren Klartext. Rausz-Songs wie „Lass mich“, in dem es um Trennungsprobleme geht, oder „Scherbenfressen“, ein Song über emotionale Grenzen, sind klare persönliche Statements und damit auch immer irgendwie auch zum Rollenbild der Frau in der Gesellschaft, das bei genauem Hinsehen immer noch nicht so gleichberechtigt ist wie es weitläufig gesehen wird.

Auf den ersten Blick könnte man vielleicht denken – das ist doch eigentlich nichts Ungewöhnliches heute, Emanzipation und so weiter… aber wenn man mal genauer in die Musiklandschaft blickt – nicht nur in Deutschland – sind konsequente feministische Ansagen leider immer noch eher rar gesät, vielleicht noch im Hip-Hop zu finden. Gang und Gäbe ist in weiten Teilen aber oft immer noch eine gewisse vorsichtige starre Angepasstheit ans Rollenbild/Schönheitsideal – eher ein Mitschwimmen als eine persönliche Aussage. In Zeiten von Instagram und Co. auch kein grosses Wunder.

Ich habe mich hier und da schon gelegentlich gefragt, was wohl der Grund für Susannas kompromissloses Selbstbewusstsein ist, dass im Gegensatz zu vielen Anderen so ein Statement setzt und das ohne dabei in dumpfe Männerhass-Attitüden abzufallen oder dabei gar selbst ´zum Mann zu werden´. Und ich gebe zu, dass ich zuerst dachte, dieses Auftreten wäre ein bewusstes Spiel mit einem bestimmten Rollenbild der Frau in der Gesellschaft, gegen das sie konkret rebelliert hat. Doch wenn man sie fragt, verneint sie dies konsequent: „Ich habe nie bewusst rebelliert gegen die Gesellschaft, das ist nicht mein Antrieb. Ich tue es einfach und habe einen längeren Weg hinter mir, mich dafür frei zu machen. Ich hatte allerdings das Glück, alles Mögliche ausprobieren zu können. Mein Antrieb ist schlicht der Wunsch, Gefühle auszudrücken und andere fühlen zu lassen, mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen.“

Doch ein bestimmtes ‚anerzogenes Rollenbild‘ der Frau existiert durchaus, wie sie zugesteht: „Tatsächlich ist es so, dass Frauen erzogen werden und meist auch verinnerlichen, dass es besser ist, keinen Raum einzunehmen und es möglichst angenehm für alle zu machen. Ich erziehe mich jeden Tag ein Stück weiter in die andere Richtung. Daran sollten sich alle gewöhnen. Ich will Platz haben zu wachsen und Platz haben zu zeigen, was ich fühle. Nur so kann man die Leute dazu bewegen, zu realisieren, dass das so okay ist und wichtig, dass alle Menschen – proportional zu ihrem Aufkommen in der Gesellschaft – eine Stimme haben und man ihnen mehr zuhören muss.“

Werdegang

Der musikalische Werdegang der eigentlich hauptberuflich I.S.A. geprüften Stimmtherapeutin/Logopädin im TV, Radio und Dozentin für Stimme an der Uni Bremen, begann schon, als sie sehr klein war – mit Geige im Orchester und später in der Jazz-Combo „Les Privatiers“. Ein entscheidender und zündender künstlerischer Moment in ihrem Leben war nach ihrer Aussage aber ein Konzert von Skunk Anansie, das sie besuchte, als sie 13 Jahre alt war: „Sängerin Skin hat mich mit ihrer krassen Energie einfach total begeistert“, schwärmt Susanna heute. Auch Björk war und ist schon lange ein absolutes Idol, wie sie sagt.. „einfach für alles, was sie tut, die Verbindung von visueller Kunst, Videos, Bildern und Innovationen. Ihr Frei-sein…“ Weitere Vorbilder sind z.B. Sibylle Berg – „für ihren Scharfsinn und die Perspektive und das ‚fuck you all'“, Helge Schneider, Kurt Cobain, Miranda July für das Strange-sein, sowie NOVAA – „für ihre Stärke im Verletzlich-Sein und ihre Selbstständigkeit…“, außerdem AMYL & THE SNIFFERS – „für ihre Performance. Sie alle inspirieren mich und zeigen mir, wie gut es ist, einen Ausdruck zu finden.“

Rausz beginnt

Doch irgendwie kam dann irgendwann der Bruch mit all dem. Mit Ende 20 hatte sich das, was beim Musizieren in Folk- und Pop Projekten irgendwann angefangen hatte, im Hintergrund zu schimmern, als Routine, als Zweifel und in eine gewisse gefühlte Leere mündete, unmissverständlich als grundlegende Frage entpuppt. War es wirklich das, was sie der Welt zu sagen hatte? Und wie sie es sagen wollte? Eine künstlerische Rolle ausfüllen, die es schon gibt? Reicht das? Keine Antwort. Da half nur Ausprobieren.

„Irgendwie haben mich diese ganzen Projekte nie wirklich befriedigt“, gestand sie vor Kurzem im Bremer Podcast „Halt’s Maul und Spiel – Die Sendung mit der Band“. „Ich bin zu dem Zeitpunkt in eine große Krise geraten und hatte einfach so viel Energie und Wut in mir. Bei einem Kumpel habe ich einen Song aufgenommen und habe eigentlich nur ins Mikro geschrien, was mir gerade so einfiel. Der Kumpel meinte dann irgendwann: ‚Hey, das klingt cool.‘ Er hat die Audiotakes dann noch in derselben Nacht zu einem Song verwurstet und dieser Song war dann ‚Scherben Fressen‘ – der erste offizielle Rausz-Song. Der Sound klang für mich so hart und angezerrt, dass ich dachte, ich bräuchte einfach eine Band dazu, die Crashbecken und eine verzerrte Gitarre wie eine Wand dahinter legt, vor der ich ausrasten könnte.“

Diese Vision funktionierte offensichtlich schon eher, brachte das, was die Gefühlswelt hervorbrachte – und doch zurückdrängte, ans Tageslicht. Ein aus der allgemeinen Wut dieser Zeit hervorgegangenes Notizbuch voller schäumend-sinnierender Zitate und Statements schien die lyrische Richtung und den Anfang ebenso wütender Songs zu verheißen. Das funktionierte offensichtlich! Und die Suche nach Musikern für das Projekt konnte beginnen.

Susanna suchte gezielt und ging eher nach Menschenkenntnis und Sympathie vor, als großartige Vorspielen abzuhalten. „Sylke, die Bassistin, kannte ich irgendwie aus früheren Bremer Punkprojekten, wusste aber gar nicht, wie gut oder schlecht sie eigentlich Bass spielte.“ Aber ich mochte sie gerne“, erzählt sie. „Deshalb habe ich sie gefragt.“ Getäuscht hat sie sich nicht. Sylke von Raven ist bis heute feste Bassistin und aus der Truppe nicht mehr wegzudenken. Auf ähnlich direktem Wege kamen auch Gitarrist Florian „Willow“ Sommer und Drummer Thomas Hoffman dazu. Auch hier entschied schlicht Sympathie. „Wir haben uns dann zur ersten Probe getroffen, und es war sofort magisch. Unser gemeinsamer Nenner waren Nirvana und Rage Against the Machine, die fanden wir alle geil. Wir haben gleich drei Songs geschrieben, der Name stand auch schon, und insgesamt war das alles so ein bisschen wie frisch verliebt sein.“ Zum Namen Rausz kam es, weil das Projekt zuerst ‚raus‘ (also raus aus der schlechten Stimmung durch Krach, Wut usw.) heißen sollte, was aber irgendwie doch nicht so richtig passte, und man einigte sich dann einfach auf Rausz im Sinne von Rausch (einen im Tee haben).

 

"Ich habe nie bewusst ´rebelliert´. Mein Antrieb ist der Wunsch, Gefühle auszudrücken und Andere fühlen zu machen. Mit allen Mitteln die mir zur Verfügung stehen."
Susanna Janke

Der erste Gig der 4-er Truppe auf der ‚Kompletten Palette 2017‘ wurde dann auch gleich vollständig auf Video (YouTube) festgehalten; dabei merkt man schon, dass sie sich in der energiegeladenen Rolle sichtlich wohler fühlte als z. B. in einer dezent zurückhaltenderen Pose in der Raw-Popband oder als eher introviertierte Folksängerin. Das alles war definitiv besser auch wenn das Getobe, das Geschrei – das übrigens nie überzogen wirkt, erstmal viel Heiserkeit und Erschöpfung mit sich brachten. Doch eins war klar: Rausz waren geboren und am Start. Es folgten in den nächsten drei Jahren (bis Corona) ungefähr 25 Gigs im Raum Bremen: „Unsere Highlights waren ‚Watt en Schlick 2019‘, ‚Pappinale‘, ‚Breminale‘ und auf dem Krähenberg“, berichtet Susanna. „Backstage herumalbern, aufgeregt sein, beim Spielen alles vergessen und den Moment genießen. Resonanz fühlen und Gespräche mit Zuhörenden, das alles war wunderschön.“ Eine intensive Zeit.

Doch so schön die Zeit des Auftretens auch war, gab es auch von Anfang an unschöne Momente, denn leider waren da auch immer mal wieder Leute, die mit der konsequenten Art, wie Susanna sich on Stage präsentierte, nicht sehr gut umgehen konnten.

Sexistisches Mobbing während und/oder direkt nach Konzerten oder Beschimpfungen anderer Art auf Social-Media-Kanälen – all das hat es schon gegeben und das nicht nur einmal. Ziemlich ärgerlich, aber man muss damit wohl leben, bis zu einem gewissen Grat. „Diese Dinge sind natürlich absolut der Abfuck“, sagt Susanna. „Genau wie jeder Versuch von irgendwelchen Kleingeistern, mir oder uns auf diesem Wege zu verstehen zu geben, dass das, was wir tun, nicht okay ist und ich nur ein Stück Unterhaltungsfleisch bin. Sowas lässt mich ratlos und traurig zurück. Veranstaltungen, Bühne, Kunst sollten eigentlich ein Safe Space sein. Wohlwollen, Liebe und Vertrauen – wenn wir das spüren beim Konzert, dann ist es immer unvergesslich, denn von solchen Momenten ernähren wir uns.“

Doch resignieren hilft da nicht. Susanna weiß, nur wer seinen Weg unbeeinflusst fortsetzt, kann auch ein Vorbild sein. Und das ist sie ja eigentlich, generell, gerade für Mädchen und junge Frauen, nicht nur in Workshops, als Stimmcoach, sondern eben auch als Frontfrau. Sie ist sich dabei im Klaren, dass sie die weibliche Bühnenenergie, die sie bei Skin von Skunk Anansie so bewunderte, heute auf der Bühne selbst ausstrahlt, wie sie vor drei Jahren in einem Interview (auf frauenseiten.de) zugab: „Diese Mädchen und jungen Frauen sehen auf einmal, dass jemand mit einer weiblichen Energie und auch Wut auf der Bühne etwas artikuliert. Manchmal sehe ich deren Augen so ein krass, das geht auch? Das sind mir die wichtigsten Momente.“

Dass Frauen als sich selbst darstellende Musikerinnen in der Musik überhaupt immer noch recht unterrepräsentiert sind (wenn man recherchiert, genauer gesagt in so ziemlich allen Bereichen der Musikwirtschaft), wundert Susanna an sich nicht, zumindest wenn sie auf ihre Arbeit als Stimmcoach in Workshops blickt. So berichtete sie im selben Interview (frauenseiten.de), dass ihr oft auffällt, dass Mädchen schon beim Betreten des Proberaums eher zurückhaltender sind, während Jungs einfach loslegen an den Instrumenten, auch wenn sie (zunächst) genauso wenig darauf spielen könnten.

„Frauen und Mädchen müssen generell mehr aus ihrer Komfortzone kommen, um sich irgendwann einmal selbstbewusst auf der Bühne darstellen zu können“, (Interview frauenseiten.de). „Oft singen Frauen und Mädchen auch lieber, statt Schlagzeug, Bass oder Gitarre zu spielen, nur weil es eine höhere Hürde ist.“ Susanna rät dazu, nicht zu viel nachzudenken und einfach auszuprobieren.

Stimmt, denn jeder leidenschaftliche Instrumentalist-in beweist, wie sehr man seine Gefühle auf seinem/ihrem Instrument Ausdruck verleihen kann, wenn man sich lange und intensiv genug und mit all seinen/ihren Sinnen damit befasst.

Auflösung und Neugründung

Die Geschichte von Rausz nahm 2021 dann zunächst eine eigene unerwartete Wendung. Natürlich auch wegen Corona, das inzwischen immerhin schon über zwei Jahre wütete. Keine Gigs, Langeweile. Weiterentwicklung als Band? Ähm..nicht wirklich. Aber das kennt ja jeder eder Musiker der diese Zeiten erlebt hat.

In den sozialen Medien gab die Band am 13. November 2021 ihre Auflösung bekannt: „Rausz gibt es nicht mehr“ (Facebook). Und es stimmte auch tatsächlich. Natürlich hatte die Pandemiezeit großen Einfluss darauf gehabt, aber für Susanna gab es auch noch andere Gründe für den Split der Band: „Es gab für mich verschiedene Sargnägel, die sich im Laufe der Zeit eingeschlagen hatten. Bandmitglieder zogen weg, wurden Eltern, ich wurde krank, und ich habe das Gefühl vermisst, das uns ganz zu Beginn getragen hat. Deswegen hielt ich es für eine gute Idee, einen Schlussstrich zu ziehen, in der Hoffnung, dass etwas Neues wachsen kann.“

Die Reaktionen der Fans auf die Auflösung kamen dann allerdings für die Band genauso direkt und unerwartet wie ihre Auflösungsbekanntgabe: So hagelte es in den darauf folgenden Wochen nicht gerade wenige entsetzte und traurige Fan-Nachrichten. Viele waren bestürzt, konnten es nicht fassen und gaben offen zu wie sehr sie Rausz vermissen würden.

Für Susanna, eher baff über diese Reaktionen war es dann schließlich doch Grund genug, die eigenen Schlüsse nochmal neu zu bewerten. Außerdem war ihr bewusst, dass Gigs mit einem eventuell neuen Projekt sich noch viel länger hinauszögern würden, als neu formiert mit Rausz: „All dies hat mich nach und nach daran zweifeln lassen, richtig entschieden zu haben“, gibt sie zu. „Eine Begegnung beim Einkaufen (mit ‚Jinx‘-Gitarrist Wilken Randt), ein Gespräch beim Kaffee (mit Sylke van Raven) und eine unfassbare Videobewerbung (von Caine Grant – heutigem Drummer) haben mir dann gezeigt, dass das Projekt noch lebendig ist und das Gefühl wieder da sein kann – mit den richtigen Menschen, die wortlos verstehen und Bock haben.“

So gab die Band schließlich, ein knappes halbes Jahr nach der Auflösung ihre Re-Formierung in teilweise neuer Besetzung bekannt, und im neuen Eifer entstehen meist auch neue Inhalte: „Ich schreibe gerade Songs ohne Ende“, berichtet Susanna. Wer die Insta-Stories von suzannah_rawnrausz oder Rausz verfolgt, bekommt dort auch fast täglich neue Kostproben davon geboten. Kein Zweifel also – Sie sind zurück !

Outro

Die Rausz-Story ist am Ende auch eine Geschichte über Emanzipation. Ich finde, es ist schon fast ironisch, Susanna ist als Mensch einfach viel zu temperamentvoll, um althergebrachte Rollenbilder der Frau in der Musik wirklich annehmen zu können. Also war sie quasi gezwungen, sich selbst zu finden, auch wenn das nicht bedeutet, dass man dadurch unverwundbar ist. Das nennt man dann: Selbst bewusstsein. Die Gefühle setzen die Prioritäten.

Sie wirkt sie als Person mit Text, Stimme und Performance, zieht Grenzen, regt sich auf. Gerade weil sie verletzbar ist und das weiß. Und vieles in dieser Welt sollte einen aufregen und wütend machen als empfindender Mensch – eigentlich.

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